Der Name der Hauptstadt entpuppt sich wie so viele Namen auf der Insel als Zungenbrecher für Ungeübte – Antananarivo. Gut, dass man sich intern auf das kurze und knappe „Tana“ geeinigt hat, alle wissen dann Bescheid. Hier beginnt unsere Rundreise durch Madagaskar, die größte Insel Afrikas. Schade, dass viele Reisende nach ihrer Ankunft die Metropole kaum eines Blickes würdigen und schnell weiter fahren zu den vielen Naturhighlights der Insel. Ein oder zwei Tage Akklimatisierung würden sich hier schon lohnen. Zwei Millionen Einwohner hat Tana, das heißt, dass fast jeder zehnte Madagasse in der Hauptstadt lebt. Und im Gegensatz zu vielen afrikanischen Großstädten kommt Tana dabei geordnet und ruhig daher. Vielleicht liegt es daran, dass die Bebauung sich sanft an die Hügel auf 1.400 bis 1.700 Metern Höhe schmiegt und dass die Altstadtgassen mit ihren Backsteinhäusern und Balkonen eine gewisse Gelassenheit ausstrahlen. Ruhe findet man übrigens auch im Zoologisch-Botanischen Garten, der uns am Anfang unserer Rundreise gleich einstimmt auf die Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt Madagaskars.
Eine virtuelle Rundreise über die Insel kann aber wie eine echte Tour durch Madagaskar nur mit einem Thema beginnen. Denn so schön auch Antananarivo, in der so gut wie jede Madagaskar Reise beginnt und endet, ist – die echten Stars der Insel sind die Lemuren. 93 Arten der „Halbaffen“ sind auf Madagaskar bekannt. Wie sie hierhin kamen, ist im Detail nicht geklärt. Wahrscheinlich ist aber, dass alle, vom winzigen Mausmaki bis hin zu den Indris, der größten Art, von einer Ursprungsart abstammen. Lemure lassen sich auf Madagaskar an vielen Orten blicken. Katta-Lemuren zum Beispiel im Tsaranoro-Tal oder im Anja Reserve bei Ambalavoa, Indris im Antsirabe-Nationalpark im Zentrum der Insel.
Hier lässt sich bei einer Rundreise durch Madagaskar auch hervorragend über die Vielfalt der Arten philosophieren und über die spannenden Entwicklungen, die die Evolutionsgeschichte auf Madagaskar genommen hat. Denn nirgendwo sonst auf der Welt finden sich auf einer Fläche von anderthalbmal Deutschland 150 endemische Säugetierarten, Würgeschlangen, die es sonst nur in Südamerika gibt und die Hälfte aller auf der Erde vorkommender Chamäleonarten. Über 80 Prozent der Tier- und Pflanzenarten Madagaskars kommen nur hier vor. Warum? Die Insel war ursprünglich Teil des Urkontinents Gondwandaland, der sich vor rund 180 Millionen Jahren in die Kontinente Südamerika, Antarktis, Australien und Afrika teilte. Auch Madagaskar und Indien spalteten sich ab. Auf Madagaskar hatte die Tierwelt seither viel Zeit, sich an die unterschiedlichen Klimazonen wie Halbwüsten und Regenwälder anzupassen. Und die natürliche Barriere zum Festland war so groß, dass nur wenige Arten sie überwinden konnten. So können wir bei einer Rundreise auf Madagaskar zum Beispiel im Ranomafana-Nationalpark zahlreiche endemische Amphibien, Reptilien und Vogelarten beobachten.
Im Südwesten eine Halbwüste mit Dornenwäldern, Regenwälder an der Nord- und Ostküste, Karstlandschaften im Tsingy-de-Bemeraha-Nationalpark im Westen der Insel und im zentralen Hochland Vulkane, Thermalquellen und französisch-koloniale Sommerfrischen: Die unglaubliche Zahl von 12.000 Pflanzenarten, von feinen Moosen bis zu den majestätischen Baobabs, fühlt sich in diesen ganz gegensätzlichen Landschaften heimisch. Während unserer Rundreise durch Madagaskar lernen wir sie kennen. Fast 1.000 Orchideenarten gibt es auf der Insel, rund 170 Palmenarten und dazu der emblematische „Baum der Reisenden“, der zwar wie eine Palme aussieht, aber zu den Strelitzien gehört. Im trockenen Südwesten wachsen bizarre Pflanzen. Sechs der acht Baobabarten weltweit sind auf Madagaskar heimisch. In ihren bauchigen Stämmen speichern sie Wasser für schlechte Zeiten. Im Südwesten der Insel, zum Beispiel im Arboretum von Antsokay, können wir die witzigen Bäume treffen, neben bizarren Pflanzen wie dem Elefantenfuß oder der stacheligen Didieracee.
Nicht nur Flora und Fauna sind von großer Vielfalt, während unserer Rundreise durch Madagaskar merken wir schnell, dass die Bewohner der Insel ganz unterschiedliche ethnische Wurzeln haben. Entscheidend geprägt haben Madagaskar und seine Traditionen die Einwanderer aus Asien, die vor rund 2.000 Jahren auf die Insel kamen. So ist zum Beispiel die Landessprache Malagasy asiatischen Ursprungs. Borneo lässt grüßen! Später kamen Zuwanderer aus Afrika hinzu. Gemeinsam formen die 18 anerkannten Ethnien eine kulturelle Vielfalt, die ihresgleichen sucht. Bäume sind heilig, Seen können tabu sein, jede Volksgruppe hat ganz eigene Riten des Totengedenkens und des Ahnenkults. Zum Beispiel die Betsileo, bei denen die Feierlichkeiten zur „Umwendung des Toten“ fester Bestandteil des rituellen Kalenders sind. Rein äußerlich werden bei diesen Feiern die Knochen der Toten umgebettet, der tiefere Sinn des Rituals liegt aber in der Umwandlung der Seele von der eines Menschen hin zu einem höheren, Gott nahestehenden Wesen. Schließlich wird die Seele durch die Feierlichkeiten selbst in das göttliche Wesen umgewandelt und lebt anschließend in Gottes Reich. Fremdes, Exotisches und Vertrautes mischen sich so während einer Rundreise durch Madagaskar zu einem wunderbaren Mosaik.
Über all das Erlebte lässt sich übrigens nach einer Rundreise durch Madagaskar hervorragend auf einer der kleinen vorgelagerten Inseln reflektieren. Zum Beispiel auf Nosy Sainte Marie an der nördlichen Ostküste. Nur 18.000 Einwohner leben auf dem 200 Quadratkilometer großen Eiland, das ein Tropenparadies par excellence ist: weiße Sandstrände, Palmen und das warme Wasser des Indischen Ozeans – was braucht es mehr? Vielleicht etwas Kultur? Die findet sich auf dem Piratenfriedhof. Bis zu 1.500 Freibeuter bevölkerten im 17. Jahrhundert die Insel und lauerten den nach Asien segelnden Schiffen auf. Wie heißt es so schön: „Wir lagen vor Madagaskar ...“